Das Buch zum Tisch

Für mich war die Arbeit am vorliegenden Werk eine Rückkehr zu meinen Wurzeln. Ein Jahrzehnt lang habe ich in Ascona und in Zermatt Gerichte entwickelt, die mediterranen oder karg-alpinen Ursprung hatten. Dann begann 2016 mein Engagement im Casino Bern: Mein Wirken als Direktor war anfänglich primär geschäftsführender Natur. Umso mehr habe ich mich gefreut, für dieses Werk mein weisses Hemd mit der Kochbluse zu tauschen.

Während Monaten haben wir Archive und historische Kochbücher durchforstet und Geschichten aus dem letzten halben Jahrtausend der Schweiz, des Stadtstaates Bern und des Kantons zusammengetragen — immer mit Blick aufs Kulinarische, Essen und Trinken. Und in der Küche haben meine Küchenchefs und ich gepröbelt und probiert, bis dieses Buch vorlag.

Sie finden darin Grundlegendes zu früheren Berner Essgewohnheiten. Sie finden moderne Gerichte, die unserer Auffassung nach Berner Kulinarik widerspiegeln. Sie finden aber vor allem kleine Geschichten, spannende Entdeckungen und kuriose Bräuche: Wussten Sie, dass in den Zunftstuben Scherzbecher gereicht wurden, die mehr Wein aufs weisse Hemd als in die Kehle gossen? Oder dass der Biber früher als Fisch galt? Oder dass Schnepfendreck gewissermassen der Vorläufer vom Tatar war?

Wenn Sie nun glauben, am Zunfttisch nur das alte Bern ein bisschen besser kennenzulernen, dann täuschen Sie sich: Die kulinarische Entwicklung des vielseitigsten Kantons der Schweiz — verzeihen Sie mir meinen überschwänglichen Stolz — ist auch exemplarisch für viele andere Städte und Regionen Mitteleuropas. Bern war schon lange vor seiner Wahl zur Bundesstadt international vernetzt. Dabei ging der kulinarische Austausch in beide Richtungen — von Bern weg und nach Bern hin.

Wir hoffen, mit diesem Buch nicht nur Bernerinnen und Berner für diese Geschichten und Rezepte zu begeistern. Denn ein Blick zurück ist immer auch ein Blick über den Tellerrand. Vermeintlich neumodische Konzepte wie Nose to Tail und Urban Farming sind im Grunde nichts anderes als jahrhundertealte Ernährungskonzepte. Addiert man nun dieses aktuelle Herkunfts- und Ganzheitlichkeitsbedürfnis mit dem abgedroschenen «Man ist, was man isst», dann vermute ich: Wir werden wieder, wie wir einmal waren.

Ivo Adam, Direktor Casino Bern